"In den Wochen um die Maueröffnung hatte ich wirklich das Gefühl, Geschichte live zu erleben, selbst an historischen Augenblicken teil zu haben. Am 9. November habe ich die Pressekonferenz mit Günter Schabowski im Fernsehen gesehen und auch verstanden, dass nun alle DDR-Bürger rüberkommen. Aber, dass sie sofort loslaufen, habe ich erst am nächsten Morgen kapiert, als ich die Berichte im SFB [Sender Freies Berlin] hörte.
Am 10. November bin ich abends zum Schöneberger Rathaus gegangen und habe dort die Rede von Willy Brandt gehört – mit dem historischen Satz 'Es wächst zusammen, was zusammengehört.' Das war ein äußerst bewegender Augenblick. In der Menge habe ich begriffen, was Willy Brandt für die Westberliner darstellte: Er bekam standing ovations und aus den Bemerkungen um mich herum entnahm ich viel Achtung. Bundeskanzler Kohl hingegen wurde total ausgebuht, was ein bisschen hart war.
Wir sind dann abends noch zum Grenzübergang Checkpoint Charlie gegangen – einfach nur zum Gucken. Westberliner bildeten ein Spalier für die Ostberliner und haben Sekt in Pappbechern ausgegeben. Beim Versuch eines Rundgangs durch die Menge haben wir wieder Kanzler Helmut Kohl gesehen. Er kam mir ziemlich groß vor, umringt von Bodyguards, aber mitten im Gewühle."
Dagmar Lipper (West-Berlin)