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Shopping in Lichtenrade, 11. November 1989: Begrüßung von DDR-Bürgern [1/12]

INFORMATIONEN ZUM OBJEKT

Details

11. November 1989
Berlin-Lichtenrade, Goltzstraße
Urheber: Monika Waack

Lizenztyp: Creative Commons License

Ein Kaffeestand, der zur Begrüßung von DDR-Bürgern aufgestellt wurde

Abgebildet

Auto, Begrüßungsgeschenk, Kind, Menschenmenge, Werbung

Kontext

Bank (Finanzinstitut), Begrüßungsgeld, Begrüßungsgeschenk, Deutsche Mark, Handelsware, Kind, Konsum, Mauerfall, Skepsis, Stau, Trabant (Pkw), Wartburg (Pkw)

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Shopping in / Lichtenrade

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Erinnerung

"Am Sonnabendnachmittag zogen wir hinüber in die Bahnhofstraße, von witzigen Insidern schon in den 60er Jahren gern selbstironisch die „Champs Elysées von Lichtenrade“ genannt. Aber für die Ankömmlinge muss es noch mehr als das gewesen sein: ein wahres Einkaufsparadies. Dass ein kleiner Ortsteil am Stadtrand von West-Berlin auf seiner Einkaufstraße jederzeit ein Warenangebot ausbreitete, das das aller prächtigsten Prachtstraßen der DDR bei weitem übertraf, muss für viele den Verstand überstiegen haben.

Der 15 Kilometer lange und ohnehin verstopfte Weg ins Stadtzentrum zum Kurfürstendamm war überhaupt nicht erforderlich, da es ja bereits hier am Stadtrand alles in Überfülle gab, was man sich von den 100 DM Begrüßungsgeld leisten konnte.

Das ist auch so eine Sache, an die ich mich nur mit heftigem Schlucken erinnern kann: Als wir am Abend durch die Bamberger Straße wieder nach Hause gingen, war diese stille Seitenstraße bis an ihr allerletztes Ende teilweise abenteuerlich zugeparkt mit Trabis und Wartburgs. Durch viele Heckscheiben konnte man sehen, was die Besucher inzwischen eingekauft hatten, darunter auffällig viel Spielzeug. Kaum eine Rückbank, auf dem nicht eine Lego-Packung lag. Das war den Leuten wichtig: vor allem auch ihre Kinder an dieser Freude teilhaben zu lassen. Nur hundert Mark, aber die Kinder mussten auf jeden Fall ihren Teil erhalten. Ich hatte schon am Vormittag beobachtet, wie einzelne West-Berliner durch die geöffneten Seitenscheiben der im Stau stehenden Wagen den Besuchern Geldscheine in die Hand gedrückt hatten. Man konnte sich ja deren finanzielle Situation mühelos vorstellen.

An diesem Wochenende und am nächsten, das ähnlich verlief, habe ich viel dazu gelernt. Ich war völlig überwältigt, als ich schon am Beginn der Bahnhofstraße auf dem Bürgersteig Tapetentisch neben Tapetentisch stehen sah, auf denen die Lichtenrader Thermos-Kaffeekannen und Teller mit selbstgebackenem Kuchen aufgebaut hatten. Es gab eine unglaubliche Herzlichkeit und Spontaneität, die ich nie für möglich gehalten hätte.

Täglich überstürzten sich die Nachrichten. Wie schnell die Zeit dahinraste, ist erst im Nachhinein richtig zu erkennen. Schon das nächste Wochenende lief zwar immer noch begeisternd ab, es waren eher noch mehr Menschen gekommen als am ersten Wochenende, und vor allem standen unendliche Schlangen vor den sieben oder acht Banken und Sparkassen auf der Bahnhofstraße. Aber dennoch lief vieles schon routinierter ab, und als ich zu Weihnachten mit meiner Tante in Hannover telefonierte, die wie meine Mutter in Berlin geboren und aufgewachsen war, hörte ich statt Begeisterung nur ein bedenkliches Wiegen des Kopfes: Was uns das wohl noch an Steuererhöhungen kosten wird. Ich hatte nicht geahnt, wie groß die Entfernung bis nach Hannover sein kann. Um uns tobte täglich eine neue Zeit, und die saßen fern in ihren Sesseln und zogen die Stirn kraus."

Ulrich Waack (West-Berlin)